Super unvollständig
Zwischen Pose und Posse – subjektive Erkenntnisse zur Kunst von „Hanni & Nani“
Es gibt in der Kunstgeschichte ja so einige Beispiele für lebende Kunstwerke: Andy Warhol, Joseph Beuys, HA Schult, Jonathan
Meese. Undsoweiter. Und auch deren Verdopplung gibt es in dem sich offiziell als Außerirdische deklarierendem Paar „Eva & Adele“ schon. Was Hannelore Kober und Nana Hülsewig von den Genannten
– in wohltuender Weise – unterscheidet ist das ironische Grinsen, der spürbare Spaß, der bei ihrem öffentlichen Auftreten als Funke auf die Anwesenden überspringt.
Die meisten werden „Hanni & Nani“ von ihren zahlreichen Auftritten als mal mehr, mal weniger dominant wirkende Ordnungskräfte bei den Demonstrationen gegen Stuttgart 21 kennen. Zwischen die
offiziellen Polizisten gemischt, sorgten und sorgen die beiden stoisch aber zugleich verletzlich wirkenden Fantasiebeamten als visuelle Stolpersteine für zahlreiche Fragen und Fragezeichen in den
Köpfen der Demo-Teilnehmer, Passanten und Polizisten.
Wer sich in der überschaubaren Stuttgarter Kunstszene bewegt, ist den neuerdings als „Hanni & Nani“ agierenden Personen geradezu zwangsweise bereits begegnet – meist ohne auf dieses Zusammentreffen und die „Spätfolgen“ adäquat vorbereitet gewesen zu sein. Mal traf ich die beiden im sexy Kleidchen und mit Ikea-Plastiktasche bewaffnet auf einer Galerien-Vernissage und hatte Probleme, meinen Blick nicht ständig in die großzügig mit Brusthaar dekorierten Decolletés abgleiten zu lassen. Mal versperrten mir die beiden in einer Politessen-Tracht steckend den Zugang zum mobilen Toilettenhäuschen auf dem Sommerfest eines im Ländlichen beheimateten Kunstvereins. Dass ihre französisch anmutenden Käppis so gar nicht ins Hier und Jetzt passten, fiel der Festgemeinde erst auf den zweiten Blick auf – genau wie die mit Blutrand ausstaffierten „Einschusslöcher“ in den blauen Politessen-Blusen. Bei einem anderen Galerie-Sommerfest wiederum traten mir Hannelore Kober und Nana Hülsewig als ambivalente Mischwesen aus Supermarktkassiererin und Wissenschaftlerin entgegen, den Kugelschreiber präzise in der Kittel-Tasche verstaut, die Brille perfekt zurechtgerückt. Den Auftritt im Württembergischen Kunstverein als vermeintliches Obdachlosenpärchen im Schlabber-Look habe ich leider verpasst. Oder soll ich schreiben „Gott sei Dank“. Denn eigentlich bin ich ganz froh, dass mir der Blick auf eng sitzende Tanga-Höschen und luftige Hartz IV-Bäuche erspart geblieben ist. Nunja, so ganz „erspart geblieben“ ist mir der Anblick dann doch nicht. Denn Hannelore Kober und Nana Hülsewig nutzen die Errungenschaften der modernen Kommunikation sehr ausgiebig, um ihre Auftritte anzukündigen und zu dokumentieren. So bietet das „Parasitär unterwegs“ betitelte Facebook-Fotoalbum zahlreiche Möglichkeiten zur nachträglichen Konfrontation und Kommentierung der letztgenannten Aktion.
Mit ihren Auftritten wildern Hannelore Kober und Nana Hülsewig munter im Zwischenbereich von Posen und Possen. Kleider offenbaren sich als Verkleidungen. Wer, selbst im Vernissagen-Jacket steckend, mit bewussten Übertreibungen und Kleiderordnungsverstößen konfrontiert wird, beginnt möglicherweise seine eigenes Tun zu hinterfragen. Die stets gemeinsam aufgeführten Aktionen beweisen, dass sich Humor und Gesellschaftskritik keineswegs ausschließen müssen, sondern gleichberechtigt nebeneinander stehen können, ohne eindeutig in eine jeweilige Schublade gesteckt zu werden. „Hanni & Nani“ machen sich über niemanden wirklich lustig, höchstens über den Zustand unserer Welt – und über sich selbst. Angst vor der Hässlichkeit haben sie jedenfalls nicht – und unterscheiden sich schon hier von vielen ihrer vermeintlichen Kollegen. Indem sie ihre Rollen immer wieder wechseln und durcheinander werfen, verwirren und faszinieren sie die Zaungäste stets aufs Neue.
Mit ihren Auftritten vereinen Hannelore Kober und Nana Hülsewig die Ende des 18. Jahrhunderts beginnende Tradition der „Tableau vivants“ mit der inzwischen auch schon fünfzig Jahre alten Tradition der „Performance Art”. Dabei wird dem meist unfreiwilligem Publikum kein Start- und Stopp-Punkt der Aufführung mitgeteilt. Und auch die Grenzen zwischen privatem Smalltalk („Hallo, wie geht’s?“) und quasi beruflichen Anweisungen („Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen“) verwischen. Durch die Aufforderung der beiden an Anwesende, ihren Auftritt mit der gereichten Digitalkamera zu dokumentieren, werden zudem die Grenzen zwischen Zuschauer und Beteiligten übertreten. So können wir alle Bestandteil des „Hanni & Nani“-Universums werden. Berührungsängste zur angeblich so hehren Kunst werden abgebaut. Und das ist gut so!
Marko Schacher M.A.
Kunsthistoriker und Galerist, Stuttgart
Marko Schacher, Kunsthistoriker und Galerist, Stuttgart 2011